Nicht selten stehen die Anwaltskosten für Abmahnungen völlig außer Verhältnis zum Umsatz des Abmahners. Wirtschaftlich unbedeutende Unternehmen sprechen im großen Stil Abmahnungen aus, deren Kosten sie gar nicht tragen könnten, falls die Abmahnungen nicht erfolgreich wären bzw. beim Abgemahnten nichts zu holen ist. Das LG Berlin erkannte in einem solchen Fall nun eindeutig auf Rechtsmissbrauch und Unzulässigkeit der Abmahnung.
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Im entschiedenen Fall (Urteil v. 16.04.2008, 15 O 585/07) stritten zwei eBay-Anbieter von Kinderbekleidung um eine Unterlassungsverpflichtung und Abmahnkosten wegen der von der Beklagten verwendeten Widerrufsbelehrung. Dort wurde auf ein zweiwöchiges Widerrufsrecht hingewiesen.
Erhöhte Abmahntätigkeit allein reicht nicht aus
Das LG Berlin hat zwar betont, dass allein der Umstand, dass die Klägerin vielfach abmahne, kein maßgebliches Indiz für Rechtsmissbrauch sei. Vielmehr stehe es jedem Unternehmen offen, eine Vielzahl von Mitbewerbern abzumahnen, um den Wettbewerb auf diese Weise lauter zu halten.
Wie das LG Berlin entschied in diesem Punkt bereits OLG Frankfurt a.M. (Urteil v. 14.12.2006, 6 U 129/06):
“Wenn … ein – auch wirtschaftlich unbedeutendes – Unternehmen, das die gesetzlichen Vorgaben beachtet, seine Mitbewerber ebenfalls zur Einhaltung dieser Bestimmungen zwingen möchte, ist dies an sich ohne weiteres nachvollziehbar und nicht zu missbilligen.
Dies gilt nicht zuletzt im Hinblick darauf, dass die Beachtung der Belehrungspflichten insbesondere über das Widerrufsrecht wegen der damit erfahrungsgemäß oft verbundenen Ausübung dieses Rechts zu betriebswirtschaftlichen Kosten führt, die sich der Konkurrent, der diese Vorgaben missachtet, erspart.
Dann erscheint es im Hinblick auf die regional nicht begrenzte Wettbewerbssituation im Fernabsatzhandel auch konsequent, nicht nur gegen einige wenige, sondern gegen alle Mitbewerber und deren – im Internet unschwer auffindbaren – Wettbewerbsverstöße vorzugehen.”
Wirtschaftlich unverhältnismäßige Abmahntätigkeit
Für das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs sei aber entscheidend, dass die Abmahntätigkeit in keinem vernünftigen wirtschaftlichen Verhältnis zur gewerblichen Tätigkeit des Abmahners stehe, zunächst im Hinblick auf den Umfang der dafür aufgewendeten Tätigkeit inklusive Kosten, und weiterhin bezüglich des Anteils an erwirtschafteten Einnahmen.
„Die Grenze zum Rechtsmissbrauch ist dann überschritten, wenn einerseits der hierfür aufgewendete Umfang und Kosten der Tätigkeit bzw. andererseits die hieraus erzielten Einnahmen (Abmahnkosten und Vertragsstrafen) außer Verhältnis zur übrigen Geschäftstätigkeit des Unternehmens stehen.“
BGH entschied bereits im Jahr 2000 ähnlich
Für die Begründung seiner Ansicht verweist das LG Berlin auf das Urteil des BGH v. 05.10.2000 (I ZR 237/98). Im damals entschiedenen Fall hat der Kläger im Jahr 1997, etwa 150, im Jahr 1998 immer noch etwa 35 wettbewerbsrechtliche Abmahnungen vorgenommen. Grundlage seiner Abmahntätigkeit war die Überprüfung des Immobilienteils von Tageszeitungen auf wettbewerbswidrige Anzeigen. Der BGH hat hier deutlich gemacht:
„Schon aus der Zahl der Abmahnungen des Klägers ergibt sich, dass seine Abmahntätigkeit in keinem vernünftigen wirtschaftlichen Verhältnis zu seinen behaupteten gewerblichen Tätigkeiten gestanden hat.
Als weiteres Indiz für ein missbräuchliches Vorgehen kommt hinzu, dass der Kläger … kein nennenswertes wirtschaftliches Interesse haben kann. Aus der Sicht eines wirtschaftlich denkenden Gewerbetreibenden dient seine Rechtsverfolgung vielmehr keinem anderen Interesse als seinem Gebühreninteresse als Rechtsanwalt. …
Der Kläger hat in den Vorinstanzen selbst nichts anderes vorgetragen. Er hat sich lediglich darauf berufen, dass er befürchten müsse, dass der beanstandete Wettbewerbsverstoß von anderen nachgeahmt werde. Allein mit dieser Erwägung lässt sich jedoch die sich aufgrund der Gesamtumstände aufdrängende Annahme eines Handelns im Gebühreninteresse nicht widerlegen.“
Geringe Anforderungen an den Missbrauchsnachweis
Vorliegend hat die Beklagte vorgetragen, dass die Klägerin angesichts ihrer Angebote im niedrigen Preissegment und bekanntlich geringer Gewinnspanne im Textilbereich nur geringe Umsätze erzielen kann. Dieser Vortrag genügt, um die für die Klagebefugnis sprechende Vermutung zu erschüttern, so das LG Berlin:
„… denn die Anforderungen an den zwecks Erschütterung der Vermutung von der Beklagten zu fordernden Vortrag sind nicht zu überspannen, denn sie hat naturgemäß keine Einblicke in das (vormalig betriebene) Unternehmen der Klägerin, weshalb die Klägerin eine sekundäre Behauptungslast trägt.“
Fazit: ein erfreuliches Urteil gegen Abmahnungsmissbrauch, dem hoffentlich viele Gerichte folgen werden.
Siehe auch hier im Blog:
- OLG Frankfurt a. M.: Abmahnungsmissbrauch nur bei Zusammenwirken zwischen Unternehmer und Anwalt
- LG Bückeburg: Abmahnung mit weit überhöhten Gebühren ist rechtsmissbräuchlich
- LG Paderborn: e-tail GmbH handelt rechtsmissbräuchlich
- LG München bestätigt Vorwurf der Rechtsmissbräuchlichkeit gegen Media-Markt
- Landgericht Bielefeld setzt Schlusspunkt gegen Abmahnwelle bei Shops
Hat sich der Abmahner wohl das falsche Gericht ausgesucht. In Hamburg wär das vielleicht nicht passiert…
Bleibt zu hoffen, dass sich auch andere Gericht dieser Ansicht des LG Berlin annehmen. Dies gilt vor allem für die Anforderungen an den Nachweis des Rechtsmissbrauchs. Hier werden vielfach die Anforderungen zu Lasten der Abgemahnten überhöht und der Abmahnende damit geschützt.
Anständige Händler / Unternehmen mahnen überhaupt nicht ab,
sondern senden der anderen Seite ersteinmal einen Brief und weisen dem
“Kollegen” auf einen Misstand hin. Kommt dann in etwa 14 Tagen keine Reaktion/Änderung kann immer noch Abgemahnt werden. ( Im Ausland übliches Verfahren)
Das ist auch alter hanseatischer Kaufmannsstil !!!!! meine Damen und Herren.
Leider wird aber wird aber von vielen Leuten ( Händler und Rechsanwälten)
versuch teinen schnellen einfachen “EURO” zu machen.
Wir haben zu viele Juristen in Deutschland und daher dieses ummenschliches Verfahren. Gesetze hin oder her, kein Rechtsanwalt muss einen Auftrag annehmen. Denkt mal darüber nach Ihr RA`s
mfg
Wolfgang Köbke
Sehr geehrter Herr Köbke,
Sie haben völlig Recht, auch ich habe wenig Verständnis für Kollegen, die offenbar überhaupt nicht Unrechtes mehr dabei erkennen können, wirtschaftlich völlig irrelevante Fehler eines Internetanbieters mit unverhältnismäßgen Kosten zu ahnden.
Natürlich lockt hier das “leichte Geld” für den Anwalt und für den Auftraggeber die wirtschaftliche Schädigung der Konkurrenz.
Dass dieser Abmahnmissbrauch aber nach wie vor kein Ende nimmt, liegt nicht nur an den zu Recht gescholtenen Anwälten.
Es gäbe diese Art des Geschäftsmodells längst nicht mehr, wenn alle Gerichte den Tatbestand des Rechtsmissbrauchs etwas strenger und vor allem lebensnaher auslegen würden.
So fordert z.B. das OLG Frankfurt weiterhin allen Ernstes, dass der Abgemahnte nachweist, dass es eine Vereinbarung zwischen Abmahner und Anwalt über Gebührenverzicht oder Teilung im Innenverhältnis gibt.
In der Praxis – ich habe es erlebt – sieht das dann so aus, dass das Gericht den Abmahner als Partei befragt, ob es eine solche Vereinbarung gibt und sich mit dessen treuherziger Aussage, dass es eine solche natürlich nicht gebe, schließlich zufrieden gibt – und dies bei bilanzieller Überschuldung des Abmahners und über 200 Abmahnungen in einem Jahr!
Wenn das kein Anreiz ist, auf diese Weise Geld zu verdienen…
Alexander Schupp
Rechtsanwalt
Küttner Rechtsanwälte GmbH
– Referat für Wettbewerbs-, Marken- und Urheberrecht –