rote-karteDie verschiedenen Gerichte in Deutschland haben viele Kriterien aufgestellt, anhand derer man überprüfen kann, ob Rechtsmissbrauch vorliegt. Das OLG Hamm urteilte nun, dass die Verpflichtung zur Zahlung der Vertragsstrafe auch bei nicht schuldhafter Zuwiderhandlung ein klares Indiz für Rechtsmissbrauch darstellt.

Lesen Sie hier mehr zu dem Urteil.

Dem Urteil liegt ein bekannter Sachverhalt zu Grunde:

Am 15.01.2010 urteilte das OLG Hamm (4 U 197/09), dass es kein Problem darstelle, wenn in einem Shop sowohl eine Widerrufs- wie auch eine Rückgabebelehrung vorhanden sind. Diesem Urteil vorausgegangen war eine Entscheidung des LG Bochum (Urteil v. 16.09.2009, Az: I-13 O 166/09), ein sog. “Versäumnis- und Schlussurteil”.

Gegen den Teil des Urteils, der das Schlussurteil darstellt, legte der Antragsteller Berufung ein und verlor. Dieses Berufungsurteil des OLG Hamm ist das oben erwähnte. Gegen den Teil des Versäumnisurteils legte die Antragsgegnerin Einspruch ein. Bei dem Rechtsmittel des Einspruchs gegen ein Versäumnisurteil entscheidet das Gericht der ersten Instanz noch einmal. Das LG Bochum hat das Urteil aber nicht abgeändert.

Gegen dieses Urteil wendet sich nun die Antragsgegnerin mit der Berufung, sodass das OLG Hamm erneut im gleichen Fall entscheiden musste.

Verteidigung mit Rechtsmissbrauch

Die Antragsgegnerin ist der Meinung, der Antragsteller handele rechtsmissbräuchlich. Dies hatte sie schon beim LG Bochum vorgetragen, welches die Argumente aber pauschal zurückwies.

In der Berufung vertiefte die Antragsgegnerin ihre Ausführungen noch einmal und brachte außerdem vor,

“dass der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin geschäftsmäßig abmahne. Die von ihm vertretenen Mandanten verlangten mit der Abmahnung stets Unterlassungserklärungen mit einer Vertragsstrafe von 5.100 Euro, obwohl die gerügten Wettbewerbsverstöße in der Regel und auch im hier vorliegenden Fall allenfalls geringe Auswirkungen für den Abmahnenden hätten.

Außerdem sei dann die Vertragsstrafe wie auch im vorliegenden Fall für jeden nicht schuldhaften Verstoß vorgesehen. Das sei systemwidrig und mache deutlich, dass die Abmahnungen lediglich zur Generierung von Kosten und Gebühren dienten.”

Die Antragsgegnerin bezog sich dabei auf eine rechtskräftige Entscheidung einer anderen Kammer des LG Bochum (14 O 203/09) und meint, dass auch in dem hier verhandelten Fall davon auszugehen sei, die Antragsgegnerin verfolge sachfremde Ziele.

Urteil des OLG Hamm

Das OLG Hamm (Urteil v. 29.06.2010, 4 U 24/10) sah die Berufung der Antragsgegnerin als begründet an.

“Der Antragsstellerin stehen die geltend gemachten Unterlassungsansprüche gegen die Antragsgegnerin nicht zu, weil die Abmahnung sich als rechtmissbräuchlich im Sinne von § 8 Abs. 4 UWG darstellt.”

Zwar sei der Vorwurf des Rechtsmissbrauchs weder in der ersten Instanz noch in dem anderen Berufungsverfahren zum Gegenstand gemacht worden, allerdings kann sich die Antragsgegnerin auch in diesem Verfahren noch darauf berufen. Außerdem sieht das OLG Hamm eine Pflicht, auf eine entsprechende Rüge eine Prüfung von Amts wegen einzuleiten.

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Antragssteller seine Ansprüche nicht rechtsmissbräuchlich geltend macht.

“Anderes gilt aber dann, wenn unstreitige oder gerichtsbekannte Tatsachen vorliegen, die für den gerügten Rechtsmissbrauch sprechen und damit die ursprünglich bestehende Vermutung der Antragsbefugnis bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen erschüttern. Dann ist es Sache des Antragstellers, substantiiert die Gründe vorzutragen, die gegen einen Missbrauch sprechen. Obwohl hier solche Tatsachen vorliegen, hat die Antragstellerin nicht Erhebliches vorgetragen, was gegen einen Rechtsmissbrauch sprechen könnte.”

Allgemeine Kriterien für Rechtsmissbrauch

Zunächst führt das Gericht die allgemeinen Kriterien aus, anhand derer zu prüfen ist, ob ein Rechtsmissbrauch vorliegt. Dies ist dann der Fall,

“wenn das beherrschende Motiv des Gläubigers bei der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs beispielsweise das Gebührenerzielungsinteresse ist. Dabei dient die Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs vorwiegend dazu, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung oder Zahlung von Vertragsstrafen entstehen zu lassen.

Von einem solchen Gebührenerzielungsinteresse ist auszugehen, wenn die konkreten Umstände des Einzelfalls aus Sicht eines wirtschaftlich denkenden Unternehmers deutlich machen, dass der Gläubiger kein nennenswertes wirtschaftliches oder wettbewerbspolitisches Interesse an der Rechtsverfolgung in einem ganz bestimmten Umfang haben kann und deshalb allein oder ganz überwiegend nur ein Gebühreninteresse verfolgt haben muss.”

Rechtsmissbrauch der Antragstellerin

Die genaue Anzahl von Abmahnungen der Antragstellerin ist unbekannt, aber insoweit auch nicht von besonderer Wichtigkeit. Das Gericht führt aus, dass bereits bei einer geringen Zahl von Abmahnungen oder sogar schon bei einer einzigen auf einen Rechtsmissbrauch zu schließen sei, wenn ganz besonders gewichtige Umstände vorliegen, die auf sachfremde Motive schließen lassen.

Dem Senat in Hamm waren noch fünf weitere Verfahren der Antragstellerin bekannt.

“Das spricht dafür, dass jedenfalls eine Mehrzahl von Abmahnungen ausgesprochen wurde, die nach der Lebenserfahrung überwiegend mit der Abgabe von Unterlassungserklärungen und Kostenerstattungen ihre Erledigung gefunden haben.”

Der Antragstellerin gehe es vorwiegend darum Kosten und Vertragsstrafen zu generieren, urteilt das Gericht nach einer Gesamtschau aller Umstände.

Überhöhte Vertragsstrafe

Die Antragstellering verlangte in den vorformulierten Unterlassungserklärungen jeweils 5.100 Euro für jeden Fall auch nicht schuldhafter Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungsverpflichtung.

“Diese Vertragsstrafe ist angesichts der hier in Rede stehenden Wettbewerbsverstöße schon für sich sehr hoch. Es kommt noch hinzu, dass diese Vertragsstrafe ungewöhnlicherweise auch noch bei fehlendem Verschulden verwirkt sein soll. Die Regelung zum Ausschluss des Verschuldens bei der Zuwiderhandlung ist auch so in die Unterwerfungserklärung eingefügt, dass sie ohne Weiteres überlesen werden kann.”

Dem Senat ist diese Art der Formulierung gänzlich unbekannt,

“wenn man von Abmahnungen anderer Mandanten von Rechtsanwalt H einmal absieht. Das Verlangen, die erhebliche Vertragsstrafe unabhängig von einem Verschulden für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu versprechen, deutet vielmehr eindeutig darauf hin, dass die Generierung möglicher Vertragsstrafenansprüche in erheblicher Höhe, die der Antragstellerin zufließen und die Mitbewerber empfindlich treffen, hier im Vordergrund stand. Dafür spricht insbesondere auch, dass für den Abgemahnten gerade auch durch die fehlende Exkulpationsmöglichkeit eine Haftungsfalle aufgestellt wird.”

Formulierungen zu weit

Außerdem entschied das Gericht, dass die Verbote innerhalb der Unterlassungserklärung teilweise unter Wiederholung des Gesetzestextes so weit formuliert waren, dass unter die Unterlassungsverpflichtung auch gänzlich andere Verstöße als der abgemahnte fallen könnten.

“Kommt es dann zu einer gerichtlichen Inanspruchnahme der Abgemahnten im Wege eines Verfügungsantrags, werden die Verbote unter Einbeziehung der konkreten Verletzungshandlung erheblich eingeschränkt. Das macht deutlich, dass dem Antragsteller durchaus bewusst ist, dass er die weite Formulierung des vertraglichen Verbots vor Gericht nicht durchsetzen könnte.”

Unterlassung und Abmahnkosten

Außerdem war in der Abmahnung die Frist für die Abgabe einer Unterlassungserklärung mit der Frist für die Zahlung der Abmahnkosten verquickt. Zusätzlich stand noch folgender Zusatz in Fettschrift und unterstrichen in der Abmahnung:

Der Gesamtbetrag i.H.v. 1.005,40EUR (betreffend RA-Gebühren) ist bis zum 28.08.2009 fällig.”

Außerdem wurde bereits in der Abmahnung angekündigt, dass eine Fristverlängerung nicht gewährt werden kann. Das mag zwar auf die Abgabe der Unterlassungserklärung zutreffen, aber gewiss nicht auf die Zahlung von Rechtsanwaltsgebühren.

“Es ist bemerkenswert, dass im Rahmen der vorformulierten Unterlassungserklärung in großer Schrift und unterstrichen die Fälligkeit der an den Anwalt zu zahlenden Gebühren hervorgehoben wird. Für den Schuldner muss dies den Eindruck erwecken, dass er die Gefahr gerichtlicher Inanspruchnahme nur dadurch verhindern kann, dass er neben der Unterlassungserklärung auch die Abmahnkosten umgehend erstattet. Ungewöhnlich ist in diesem Zusammenhang auch die vorgeschlagene Gerichtsstandsvereinbarung, weil diese zur Wahrung des lauteren Wettbewerbs auch nicht erforderlich ist.”

Fazit

Sollten auch Sie von einem Abmahnanwalt Post bekommen, der diese Formulierungen nutzt, lassen Sie sich unbedingt beraten. Denn wie dieses Urteil zeigt, hat man gute Chancen, die Abmahnung aus der Welt zu schaffen. Bei der Auswahl von geeigneten Rechtsanwälten stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung. (mr)

Übrigens: Die gleichen Formulierungen waren auch Gegenstand in einem anderen Verfahren vor dem LG Bochum (Urteil v. 05.05.2010 – I-13 O 217/09).

Lesen Sie hier mehr zum Rechtsmissbrauch:

image_pdfPDFimage_printDrucken